OLG Celle: Anforderungen an die Ermittlung des Auftragswerts und Zusammenarbeit verschiedener Vergabestellen

Über die Schätzung des Auftragwertes muss ein Aktenvermerk gefertigt werden, der erkennen lässt, dass die Leistung schon vor der Schätzung in wesentlichen Punkten festgelegt war. Aufträge verschiedener öffentlicher Auftraggeber sind ausnahmsweise dann zusammen zu schätzen, wenn die Auftraggeber davon ausgehen, dass die benötigte Leistung aus technischen oder anderen Gründen von demselben Anbieter beschafft werden soll, und wenn sie deshalb die Beschaffungsvorhaben koordinieren und Angebote für den gemeinsamen Bedarf einholen. (OLG Celle: 12.07.2007, 13 Verg 6/07)

Sachverhalt:

Das OLG Celle (Beschluss vom 12.07.2007, 13 Verg 6/07) hatte über die sofortige Beschwerde eines Bieters gegen einen Beschluss der Vergabekammer Lüneburg vom 27.04.2007 (VgK – 15/2007) zu entscheiden, die den Nachprüfungsantrag des Bieters als unzulässig verworfen hatte.
Die Vergabestelle, ein Landkreis, entschloss sich gemeinsam mit einer kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts Anfang 2006, neue Software zur Durchführung von Aufgaben nach dem SGB II zu beschaffen. Der Auftragswert wurde von der Vergabestelle auf insgesamt 190.000 € geschätzt, so dass eine EU – weite Ausschreibung nicht für erforderlich gehalten wurde. Nachdem die Vergabestelle, die für die Leistungssachbearbeitung zuständig ist, gemeinsam mit der Anstalt des öffentlichen Rechts, die das Fallmanagement innehat, verschiedene Angebote unterschiedlichen Bieter eingeholt hatte, bestellte sie die Software bei der Beigeladenen.

Der den Antrag stellende Bieter machte geltend, das Beschaffungsvorhaben sei künstlich aufgespalten worden, um eine Vergabe über dem Schwellenwert zu vermeiden.

Gründe:

Das OLG Celle bestätigt im Ergebnis den Beschluss der Vergabekammer. Der Nachprüfungsantrag sei wegen Nichterreichens des Schwellenwertes unzulässig.

Allerdings müssten bei der Schätzung des Auftragwertes verschiedene Pflichten der Vergabestelle beachtet werden. Die Schätzung sei nach objektiven Kriterien vorzunehmen, der Wert dürfe nach § 3 Abs. 2 VgV nicht in der Absicht geschätzt oder aufgeteilt werden, den Auftrag der Anwendung der Vergabebestimmungen zu entziehen. Zudem müsse die zu beschaffende Leistung vor der Schätzung zumindest in wesentlichen Punkten feststehen. Über die Schätzung sei ein Vergabevermerk zu fertigen.

Im vorliegenden Fall befand der Vergabesenat des OLG Celle die Kostenschätzung der Vergabestelle für nicht ausreichend, weil zumindest nicht ausreichend dokumentiert, und schätzte den Auftragswert daher eigenständig. Zu diesem Zweck wurden die inzwischen mit der Beigeladenen abgeschlossenen Verträge und die Angebote der übrigen Bieter herangezogen.

Bezüglich der Aufspaltung des Auftrags zwecks Vermeidung des förmlichen Vergabeverfahrens hat das OLG Celle letztlich den Sachverhalt als nicht gegeben erachtet. Grundsätzlich seien Aufträge verschiedener öffentlicher Auftraggeber bei der Schätzung des Auftragswerts trotz gegebenenfalls bestehender sachlicher Zusammenhänge selbstständig zu bewerten. Anders könne es ausnahmsweise sein, wenn zwei öffentliche Auftraggeber davon ausgehen, dass die benötigte Leistung aus technischen oder anderen Gründen von demselben Anbieter beschafft werden soll, und wenn die Auftraggeber deshalb die Beschaffungsvorhaben koordinieren und Angebote für den gemeinsamen Bedarf einholen. Entschließen die Auftraggeber sich dann unmittelbar vor der Auftragsvergabe zu gesonderten Verträgen, müssten sie eine nachvollziehbare Erklärung dafür liefern, aus welchem Grund dies geschehen ist, wenn nicht zur Vermeidung eines förmlichen Vergabeverfahrens. Im vorliegenden Fall sei es nach Aussage der Vergabestelle technisch nicht notwendig gewesen, identische Programme zu beschaffen, man habe es für ausreichend erachtet, die Kommunikationsmöglichkeit zwischen den Programmen in den Kriterienkatalog aufzunehmen und habe von vornherein nur getrennte Vergaben ins Auge gefasst.

Praxistipp:

Es kann sich bei Auftragswerten, die nur knapp unterhalb der Schwellenwerte liegen, durchaus lohnen, die Schätzung von einer Vergabekammer überprüfen zu lassen, sofern Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein förmliches Vergabeverfahren umgangen werden sollte. An die Stelle der Schätzung der Vergabestelle setzt die Vergabekammer dann gegebenenfalls eine eigene Schätzung. Auftraggebern ist in dieser Hinsicht zu empfehlen, auch die Schätzung des Auftragswertes ausreichend und nachvollziehbar zu dokumentieren.

Ansprechpartner:

Rainer Ihde
Claas Oehler

Stand: Juni 2008