Klarstellung des EuGH zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet:

Gericht am Wohnsitz des Geschädigten auch ohne Inlandsbezug zuständig, Schutzniveau.

Mit seiner Entscheidung „eDate“ vom 25.10.2011 (C-509/09) hat der EuGH der vom BGH im Urteil „The New York Times“ eingeführten Zuständigkeitsvoraussetzung eines „deutlichen Inlandsbezuges“ eine Absage erteilt.

Rechtsverletzungen im Internet sind weltweit abrufbar. Dies führt regelmäßig zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit für gerichtliche Verfahren zur Beseitigung der Rechtsverletzung, Geltendmachung von Schadensersatz etc. In seiner Entscheidung „The New York Times“ vom 02.03.2010 hat der BGH das Zuständigkeitsmerkmal eines „deutlichen Bezuges zum Inland“ eingeführt. Demnach seien die deutschen Gerichte zur Entscheidung über Klagen wegen Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen international zuständig, wenn die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen nach den Umständen des konkreten Falls im Inland tatsächlich eingetreten ist oder eintreten kann. Ein Indiz für einen ausreichenden „deutlichen Bezug“ sollte die Wahrscheinlichkeit der Kenntnisnahme und Beachtung der Meldung im Inland sein. Der Entscheidung lag eine im Online-Archiv der Zeitung abrufbare Berichterstattung der New York Times über einen in Deutschland lebenden Geschäftsmann zu Grunde. Der BGH schlussfolgerte den deutlichen Inlandsbezug daraus, dass der in Deutschland wohnhafte Geschäftsmann in der Berichterstattung namentlich genannt und ihm unter Berufung auf Berichte europäischer Strafverfolgungsbehörden Verbindungen zur russischen Mafia und der internationalen organisierten Kriminalität nachgesagt wurden. Es liege deshalb nahe, dass der Artikel auch im Inland zur Kenntnis genommen wird, zumal sich die New York Times als international anerkannte Zeitung an einen weltweiten Interessentenkreis richte.

Zur Vermeidung einer uferlosen Ausweitung der nationalen Zuständigkeit begrenzte der BGH seine Lehre vom „deutlichen Inlandsbezug“ in seinem Urteil „women in europe“ vom 29.03.2011. Gegenstand dieser Entscheidung war die Berichterstattung über ein Klassentreffen, das unter Teilnahme des in Deutschland wohnenden Klägers russischer Provenienz in Moskau stattgefunden hatte. Die Berichterstattung war auf einer US-Website erschienen und von der in den USA wohnenden (ebenfalls russischstämmigen) Beklagten in russischer Sprache und kyrillischer Schrift verfasst worden. In diesem Fall verneinte der BGH die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Die streitige Reisebeschreibung schildere ein privates Zusammentreffen der Parteien und ihrer ehemaligen Mitschüler in Moskau und die dabei beschriebenen Umstände aus dem privaten Bereich der Parteien seien nur für die Beteiligten von Interesse, weshalb ein deutlicher Inlandsbezug (zu Deutschland) fehle. Der Inlandsbezug ergebe sich insbesondere auch nicht daraus, dass der Kläger den Bericht an seinem Wohnsitz in Deutschland abgerufen hat. Würde der inländische Wohnsitz als möglicher Schadensort ausreichen, um einen Gerichtsstand im Inland zu begründen, wäre der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung unabhängig vom Inhalt der Berichterstattung in allen Ländern eröffnet, in denen jemand einen Wohnsitz begründet. Der Gerichtsstand wäre dadurch zufällig und beliebig.

Diesen Grundsätzen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Entscheidung „eDate“ nunmehr widersprochen und dabei die Auslegung der maßgeblichen Bestimmung in der anzuwendenden europäischen Regelung (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) präzisiert. Zuständig ist nach Ansicht des EuGH bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet stets entweder das Land, in dem der Verletzer seinen Sitz hat, oder (nach Wahl des Verletzten) das Wohnsitzland des Geschädigten.

Die vom BGH als Korrektiv zur Vermeidung einer uferlosen Ausweitung des Wohnsitzgerichtsstandes eingeführte Lehre vom konkreten Inlandsbezug dürfte somit nicht mehr haltbar sein.

Unter Hinweis auf Art. 3 der Richtlinie 2000/31 („e-commerce-Richtlinie“, Art.3 ist umgesetzt in § 3 TMG) stellt der EuGH ferner klar, dass der Verletzer im Falle der Inanspruchnahme wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung keinen strengeren Anforderungen unterliegen darf, als sein Heimatrecht vorgibt. Der EuGH begründet also eine generelle Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Geschädigten, schränkt dessen Rechte gleichzeitig jedoch sachlich ein, indem er die Ansprüche auf das Schutzniveau begrenzt, das im Wohnsitzland des Anbieters (Verletzers) besteht.

Wer also beispielsweise seinen Wohnsitz in Deutschland hat und auf einem englischen Internetportal in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt wird, kann den Portalbetreiber zwar grundsätzlich in Deutschland verklagen und auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch nehmen. Die Klage hat jedoch nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die angegriffene Tathandlung auch in England unterlassungs- und schadensersatzpflichtig wäre. Die deutschen Gerichte müssten also inzident prüfen, ob eine Rechtsverletzung auch in England vorliegt.

Fazit: Mit der lange überfälligen Klarstellung erleichtert der EuGH das Compliance-Management der Portalbetreiber. Die Anbieter müssen sich nicht mehr mit den Schutzrechten aller EU-Staaten befassen, sondern können sich auf die Einhaltung des an ihrem Sitz bestehenden Schutzniveaus beschränken.

Wer künftig die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte durch ein ausländisches Portal im Inland verfolgen will, kann dies zwar tun, muss den Sachverhalt jedoch stets auch am Maßstab des Heimatrechts des Portalbetreibers überprüfen lassen. Die Prüfung des Vorgangs nach zwei unterschiedlichen Rechtsordnungen ist naturgemäß mit einem erheblichen und in vielen Fällen wohl nicht zumutbaren Aufwand verbunden.

Ansprechpartner:
Dr. Kay Wagner

Stand: November 2011