Eine weitere Entscheidung über die internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet. (VI ZR 111/10 )

Im vergangenen Jahr hatte der Bundesgerichtshof auch bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Internet-Artikel in der New York Times einen Deutschen Gerichtsstand angenommen. „Bei der „New York Times“ handelt es sich um ein international anerkanntes Presseerzeugnis, das einen weltweiten Interessentenkreis ansprechen und erreichen will.“

Keinen Inlandsbezug nimmt er nun bei einer Internetveröffentlichung in kyrillischer Schrift an.

„Der Kläger ist russischer Geschäftsmann. Er hat neben einer Wohnung in Moskau auch einen Wohnsitz in Deutschland. Die Beklagte, die zusammen mit dem Kläger die Schule in Moskau besucht hat, lebt inzwischen in den USA. Die Parteien trafen bei einem Klassentreffen mit weiteren in Russland verbliebenen Mitschülern in der Wohnung des Klägers in Moskau zusammen. Danach veröffentlichte die Beklagte von den USA aus einen in russischer Sprache und kyrillischer Schrift abgefassten Bericht über das Internetportal www.womanineurope.com, das von einem Anbieter mit Sitz in Deutschland betrieben wird. In dem Bericht äußert sie sich u. a. über die Lebensumstände und das äußere Erscheinungsbild des Klägers.“
„Der Kläger begehrt die Unterlassung mehrerer Äußerungen, Geldentschädigung und Auskunft über den Zeitraum und die Internetadressen, über welche die zu unterlassenden Äußerungen abrufbar waren. Beide Vorinstanzen haben die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte verneint und die Klage als unzulässig abgewiesen.“
„Der u. a. für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Die deutschen Gerichte sind zur Entscheidung über Klagen wegen Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch im Internet abrufbare Veröffentlichungen international zuständig, wenn die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinn aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits, Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihres Internetauftritts und an einer Berichterstattung andererseits – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der konkreten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten ist oder eintreten kann. Aus dem Inhalt der angegriffenen Äußerung lässt sich ein solcher deutlicher Inlandsbezug nicht herleiten. Die in russischer Sprache und kyrillischer Schrift abgefasste Reisebeschreibung schildert ein privates Zusammentreffen der Parteien in Russland. Die beschriebenen Umstände aus dem privaten Bereich des Klägers sind in erster Linie für die an dem Treffen Beteiligten von Interesse. Diese haben, bis auf den Kläger, ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland. Allein dadurch, dass der Kläger an seinem Wohnsitz im Inland den Bericht abgerufen hat, wird noch nicht ein deutlicher Inlandsbezug hergestellt, selbst wenn vereinzelt Geschäftspartner Kenntnis von den angegriffenen Äußerungen erhalten haben sollten. Aus dem Standort des Servers in Deutschland lässt sich eine die Zuständigkeit deutscher Gerichte begründende Handlung der Beklagten ebenfalls nicht herleiten.“. (Quelle: Pressestelle des Bundesgerichtshofs)

Schon in der New York Times-Entscheidung hatte der BGH entschieden, dass die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte alleine nicht die Zuständigkeit begründet. Das widerspricht dem Sinn und Zweck des § 32 ZPO. Die in dieser Bestimmung geregelte Tatortanknüpfung stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass die Klage am Gerichtsstand des Bekl. zu erheben ist.

Interessant ist dabei, dass der BGH den Serverstandort nicht als Anknüpfungspunkt gelten lässt. Die Vollstreckung von ausländischen Urteilen am Serverstandort kann mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. So lassen sich beispielsweise einstweilige Verfügungen, die ohne mündliche Verhandlung ergangen sind, in den USA nicht vollstrecken. Im Einzelfall kann das die Rechtsverfolgung erschweren.

Zu begrüßen ist an der Entscheidung, dass der Bundesgerichtshof erneut verdeutlicht, dass kein ubiquitärer Gerichtsstand begründet wird, nur weil die Internetseite in Deutschland abgerufen werden kann. Die Entscheidung lässt sich aber nicht undifferenziert auf Inlandssachverhalte übertragen. Der Bundesgerichtshof prüft die „bestimmungsgemäße Auswirkung“ nicht isoliert bei der Bestimmung des Erfolgsortes innerhalb der prozessualen Vorschrift. Das Kriterium wird im Rahmen der Ermittlung des Erfolgsortes stets an den konkreten Vorschriften des materiellen Rechts geprüft, deren Verletzung im Streit steht und daraus die internationale Zuständigkeit entwickelt. Diese Erwägungen können daher nicht generalisiert werden und sind nicht pauschal auf sämtliche Internetdelikte übertragbar. Man muss unterscheiden:

Bei Wettbewerbs-, Kennzeichenrechts- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen gewährt man den sog. „fliegenden Gerichtstand“ nur dort, wo sich die Verletzung oder sein Verhalten „bestimmungsgemäß“ auswirkt. Bei Urheberrechtsverletzungen ist die Verletzung stets im gesamten Bundesgebiet gegeben. Die Begründung dafür ergibt sich aus dem im Streitfall jeweils (angeblich) verletzten materiellen Recht.

Ganz abzulehnen sind die Tendenzen, die örtliche Zuständigkeit nach § 32 ZPO im Inland für Immaterialgüterrechtsverletzungen generell durch das Kriterium der bestimmungsgemäßen Abrufbarkeit einzuschränken. Diese lässt sich nicht unabhängig von der verletzten Norm, namentlich nicht bei Urheberrechtsverletzungen im Inland einschränken. Die Auslegung von § 32 ZPO lässt nämlich keinen Raum für die generelle Annahme eines einschränkenden Tatbestandsmerkmales der „bestimmungsgemäßen Ausrichtung oder Zugänglichmachung“. Weil § 32 ZPO nur auf den Ort abstellt, wo das Delikt begangen wurde, eine Aussage, die nicht der Zuständigkeitsregel selbst innewohnt, sondern nur durch die streitgegenständliche materiell-rechtliche Deliktsnorm getroffen wird, kann auch nur diese Anknüpfungspunkt für eine Begrenzung der örtlichen Zuständigkeit sein. Im Einzelfall kommt die teleologische Einschränkung von § 32 ZPO und die Anwendung des Instituts des Rechtsmissbrauchs in Betracht. Selbst dann kommt es aber auf eine „bestimmungsgemäße Ausrichtung“ nicht an. (vgl. dazu ausführlich Laucken/Oehler ZUM 2009, 768 ff.).

Ob die Entscheidung auch für innereuropäische Sachverhalte Bestand haben wird (vorliegend ging es nicht um EU Bürger), entscheidet demnächst der EuGH. Noch im letzten Jahr hatte der Bundesgerichtshof dem EuGH folgende Fragen vorgelegt:

Ist die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internet-Website dahingehend auszulegen, dass der Betroffene eine Unterlassungsklage gegen den Betreiber der Website unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Betreiber niedergelassen ist, auch bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben kann, in dem die Website abgerufen werden kann,

oder

setzt die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Betreiber der Website nicht niedergelassen ist, voraus, dass ein über die technisch mögliche Abrufbarkeit hinausgehender besonderer Bezug der angegriffenen Inhalte oder der Website zum Gerichtsstaat (Inlandsbezug) besteht?

Der Generalanwalt hat diese Fragen in der Rechtssachen C‑509/09 und C‑161/10  unlängst wie folgt beantwortet:

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Bundesgerichtshof […] vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1. Der in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen verwendete Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ ist im Fall einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch eine in mehreren Mitgliedstaaten über das Internet verbreitete Information dahingehend auszulegen, dass der Inhaber des entsprechenden Persönlichkeitsrechts eine Klage auf Entschädigung erheben kann

  • vor den Gerichten des Mitgliedstaats des Ortes der Niederlassung des Herausgebers der Veröffentlichung, durch die die Persönlichkeitsrechte verletzt wurden, wobei diese Gerichte dafür zuständig sind, eine vollständige Entschädigung für die aus der Verletzung dieser Rechte entstandenen Schäden zuzusprechen,
  • oder vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dem die Veröffentlichung verbreitet wurde und in dem der Inhaber des Persönlichkeitsrechts geltend macht, in seinem Ansehen beeinträchtigt worden zu sein, wobei diese Gerichte nur für die Entscheidung über die im Staat des jeweils angerufenen Gerichts verursachten Schäden zuständig sind,
  • oder vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der „Schwerpunkt des Konflikts“ zwischen den in Rede stehenden Gütern und Interessen befindet, wobei diese Gerichte damit dafür zuständig sind, eine vollständige Entschädigung für die aus der Verletzung der Persönlichkeitsrechte entstandenen Schäden zuzusprechen. Unter dem Mitgliedstaat, in dem sich der „Schwerpunkt des Konflikts“ befindet, ist derjenige Mitgliedstaat zu verstehen, in dessen Gebiet die streitige Information objektiv besonders relevant ist und in dem zugleich der Inhaber des Persönlichkeitsrechts seinen „Interessenschwerpunkt“ hat.
2. Art. 3 der Richtlinie 2000/31 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000   über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt ist dahingehend auszulegen, dass damit weder eine kollisionsrechtliche Norm noch ein „Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene“ vorgegeben wird. Mit dieser Vorschrift wird der freie Dienstleistungsverkehr im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs in Form einer Harmonisierung gesetzgeberisch ausgestaltet, wobei zugleich die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, im Rahmen des ihnen durch diese Richtlinie und Art. 56 AEUV verliehenen Ermessens als Ausnahme vom freien Dienstleistungsverkehr Maßnahmen zum Schutz von besonders schutzwürdigen Interessen vorzusehen.

Ansprechpartner:
Dr. Claas Oehler

Stand: März 2011