BGH: Führendes Altersverifikationssystem für Internetzugang ist wettbewerbswidrig

Der u. a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem aktuellen Urteil (Urteil vom 18. Oktober 2007 – I ZR 102/05 – ueber18.de) entschieden, dass es den jugendschutzrechtlichen Anforderungen nicht genüge, wenn pornografische Internet-Angebote den Nutzern nach der Eingabe einer Personal- oder Reisepassnummer zugänglich gemacht werden. Auch wenn zusätzlich eine Kontobewegung erforderlich ist oder eine Postleitzahl abgefragt wird, genüge ein solches System den gesetzlichen Anforderungen nicht.

Sachverhalt:

Die Parteien bieten Altersverifikationssysteme (AVS) für Betreiber von Internetseiten mit pornografischen Inhalten an. Diese Systeme sollen den Zugang von Minderjährigen zu diesen Angeboten ausschließen.

Die Beklagte bietet ein solches System in zwei Varianten an. Bei einer Version erfolgt die Zugangsgewährung nach Eingabe von Personal- oder Reisepassnummer sowie der Postleitzahl des Ausstellungsortes. Bei einer anderen Version wird zusätzlich ein Namen, eine Adresse und eine Kreditkartennummer oder Bankverbindung abgefragt. Die Beklagte verweist auf ihrer Homepage auf die Internetangebote ihrer Kunden, die ihr Altersverifikationssystem benutzen. Über einem Link gelangt der Nutzer auf diese Weise direkt zu den pornografischen Internetangeboten ihrer Kunden.

Die Klägerin bietet selbst ein Altersverifikatonssystem an. Bei dem System der Klägerin muss sich die Internetnutzer im sog. Post-Ident-Verfahren identifizieren. Die Klägerin hat geltend gemacht, dass das System der Beklagten gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) und gegen das Strafgesetzbuch verstoße; darin liege auch ein Wettbewerbsverstoß der Beklagten. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Die Entscheidung:

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung der Beklagten bestätigt.

Angebote, die pornografisch sind und Gewalttätigkeiten, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben sind generell verboten (§ 4 Abs. 1 Nr. 10 JMStV und §§ 184a bis 184c StGB). Angebote sog. „einfacher“ Pornografie in Telemedien sind nach § 4 Abs.2 JMStV nur zulässig, wenn von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden (geschlossene Benutzergruppe). Hierfür ist nach der Rechtsprechung erforderlich, dass eine „effektive Barriere“ für den Zugang Minderjähriger besteht. Einfache und nahe liegende Umgehungsmöglichkeiten müssen ausgeschlossen sein.

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass das Altersverifikationssystem der Beklagten in beiden Versionen diesen Sicherheitsstandard nicht erfüllt. Jugendliche könnten sich leicht die Ausweisnummern von Familienangehörigen oder erwachsenen Bekannten beschaffen. Sie verfügten auch häufig über ein eigenes Konto. Das System der Beklagten errichte daher keine effektive Barriere für den Zugang Minderjähriger zu pornografischen Angeboten im Internet.

Den Einwand, mit den hohen Anforderungen werde der Zugang Erwachsener zu pornographischen Angeboten unverhältnismäßig eingeschränkt, hat der Bundesgerichtshof nicht gelten lassen. Es bestünden zahlreiche Möglichkeiten, ein Altersverifikationssystem zuverlässig auszugestalten, wie etwa die verschiedenen von der Kommission für Jugend- und Medienschutz (KJM) positiv bewerteten Konzepte zeigten. Erforderlich sei danach eine einmalige persönliche Identifizierung der Nutzer (Face-to-Face-Kontrolle) etwa durch einen Postzusteller und eine Authentifizierung bei jedem Abruf von Inhalten (z.B. durch einen USB-Stick in Verbindung mit einer PIN-Nummer). Auch eine Identifizierung mit technischen Mitteln (Webcam-Check, biometrische Merkmale) sei nicht ausgeschlossen, müsse aber entsprechende Sicherheit bieten.

Der BGH hat auch das Argument der Beklagten zurückgewiesen, dass deutsche Anbieter pornografischer Inhalte durch die Jugendschutzbestimmungen gegenüber ausländischen Anbietern diskriminiert würden. Die Zugangsbeschränkungen des deutschen Rechts für pornographische Inhalte im Internet erfassten grundsätzlich auch ausländische Angebote, die im Inland aufgerufen werden könnten. Die Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung bei Angeboten aus dem Ausland führten nicht zu einem Verstoß gegen das Gleichheitsgebot.

Die Beklagte sei aufgrund des Vertriebs ihres Altersverifikationssytems an den jugendschutzrechtlich unzulässigen Angeboten ihrer Kunden beteiligt. Darüber hinaus biete sie mit dem Angebot auf ihrer Homepage selbst pornografische Inhalte ohne ausreichende Alterssicherung an. Hierin liege ein Verstoß gegen die einschlägigen jugendschutzrechtlichen Bestimmungen. Da die Vorschriften zum Schutze der Jugend zugleich Marktverhaltensregelungen zum Schutze der Verbraucher darstellen, liegt in diesem Verstoß auch eine unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne des § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Der Klägerin stand daher ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassunganspruch gegen die Beklagte zu.

Beraterhinweis:

Die Anforderungen, die der Bundesgerichtshof an die Wirksamkeit von AVS stellt, gelten nicht nur für pornografische Inhalte, sondern auch für alle sonstigen Inhalte, die jugendgefährdend im Sinne des § 4 Abs.2 JMStV sind und daher nur geschlossenen Benutzergruppen zugänglich gemacht werden dürfen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist zu begrüßen. Die Anforderungen, die das Gericht für AVS statuiert sind zwar recht hoch und gerade Internetnutzer, die nur bei Gelegenheit jugendgefährdende Inhalte konsumieren, werden aufgrund des größeren Aufwands, der z.B. mit der Durchführung eines Post-Ident-Verfahrens verbunden ist, möglicherweise im Einzelfall von der Inanspruchnahme solcher Angebote absehen. Die eindeutige Entscheidung des Gerichts schafft jedoch endlich Rechtssicherheit. Umsichtige Anbieter, die schon bisher aufwändigere und kostpieligere AVS eingesetzt haben, die den vom Gericht aufgestellten Anforderungen gerecht wurden, haben jetzt bessere Möglichkeiten, gegen Konkurrenten vorzugehen, die einen Vorsprung im Wettbewerb dadurch zu erlangen suchen, dass sie keine oder nur unzureichende AVS einsetzen.

Es ist davon auszugehen, dass Konkurrenten und Verbraucher- und Jugendschutzorganisationen in Zukunft verstärkt auf die Einhaltung der in dem besprochenen Urteil aufgestellten Anforderungen an AVS achten und im Falle eines Verstoßes dagegen vorgehen werden. Um kostenpflichtige Abmahnungen und einstweilige Verfügungsverfahren zu vermeiden, sollten Anbieter jugendgefährdender Inhalte ihre Angebote umgehend entsprechend anpassen. Ausländische Anbieter, die AVS einsetzen, die den Anforderungen des Bundesgerichtshofes nicht gerecht werden, sollten zukünftig nach Möglichkeit sicherstellen, dass ihre Angebote nicht in Deutschland abgerufen werden können, z.B. durch die Ablehnung aus Deutschland stammender Kreditkarten.

Ansprechpartner:
Fabian-Laucken

Stand: Oktober 2007