Handelsvertreterausgleich auch bei fristloser „Katalog-Kündigung“

Im Zuge der Abwicklung von Handelsvertreterverträgen und anderen vertikalen Vertriebsbeziehungen (Vertragshändlerverträge, Franchising etc.) kommt es häufig zum Streit darüber, ob dem Handelsvertreter/Händler auch dann ein Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB zusteht, wenn der Vertrag vom Unternehmen/Hersteller aufgrund eines vertraglichen Katalogtatbestandes fristlos gekündigt wurde.

Viele Vertriebsverträge enthalten umfangreiche Auflistungen von Katalogtatbeständen, die den Prinzipal zur außerordentlichen Beendigung des Vertrages berechtigen sollen. Besonders umfassend sind diese Kataloge in Tankstellenverwaltungsverträgen, in denen sich häufig zehn oder mehr Kündigungstatbestände finden. Wird eine fristlose Kündigung auf einen solchen Tatbestand gestützt, vertritt das Unternehmen in der Regel die Ansicht, dass kein Handelsvertreterausgleich geschuldet sei. Hiermit liegen die Mineralölgesellschaften oft jedoch falsch.

Der Handelsvertreterausgleich ist zwar gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2  HGB ausgeschlossen, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein „wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltes des Handelsvertreters vorlag“. Die Ausschlussregelung ist jedoch im Lichte der „Handelsvertreterrichtlinie“ (86/653/EWG) auszulegen und im Interesse des Handelsvertreters grundsätzlich eng zu verstehen. Nicht jede wirksame Kündigung aus einem wichtigen Grund führt also zum Verlust des Ausgleichanspruchs. Es ist vielmehr zu unterscheiden zwischen (1.) der Frage der Wirksamkeit der Kündigung einerseits und (2.) der Beurteilung, ob der wirksamen Kündigung ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters zugrunde lag. Nur wenn beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen, ist der Handelsvertreterausgleich ausgeschlossen. Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom 28.10.2010 ausdrücklich klargestellt, dass der Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen werden darf, wenn eine ursächliche Verknüpfung zwischen einem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung besteht.

Zunächst einmal muss also überhaupt ein „wichtiger Grund“ vorliegen. Der Begriff des „wichtigen Grundes“ versteht sich wie in § 89a HGB. Ein Kündigungsgrund ist nur dann „wichtig“ und berechtigt zur außerordentlichen (fristlosen) Kündigung, wenn es dem Unternehmen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann, die Frist bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten. Besonders schwerwiegende Vertragsverstöße oder natürlich strafbare Handlungen (Diebstahl, Bedrohungen o.ä.) kommen als derartige wichtige Gründe in Betracht.

Die in den Katalogtatbeständen der Vertriebsverträge geregelten „wichtigen Gründe“ sind häufig jedoch banaler Natur und zudem oft nicht hinreichend bestimmt. Viele der im Vertrag aufgelisteten Gründe für eine außerordentliche Kündigung sind also nicht „wichtig“ im Sinne des Gesetzes. Dies hat zur Folge, dass die auf einen solchen Katalogtatbestand gestützte außerordentliche Kündigung zwar wirksam ist, den Handelsvertreterausgleich des Betroffenen aber nicht ausschließt.

Eine bei den Unternehmen besonders beliebte Vorgehensweise besteht darin, bei Zahlungsrückständen die von den Handelsvertretern gestellten Sicherheiten zu verwerten und anschließend die „Wiederauffüllung“ der Sicherheit zu verlangen. Ist der Handelsvertreter hierzu nicht in der Lage, was meistens der Fall ist, erfolgt die fristlose Kündigung und wird der Handelsvertreterausgleich verweigert.
In diesen Fällen mag die Kündigung zwar wirksam sein, weil der Vertrag eine entsprechende Kündigungsklausel enthält. Eine fristlose Kündigung wegen der Nichtauffüllung der (zuvor verwerteten) Sicherheit führt indes in aller Regel nicht zum Wegfall des Handelsvertreterausgleichs, weil es an dem erforderlichen schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters fehlt.

Der Handelsvertreter ist in die Absatzorganisation des Unternehmens eingebunden, die zu verkaufenden Produkte, die Werbemittel und vor allem die Verkaufspreise werden ihm vorgeschrieben. Der Prinzipal ist somit für das Wohl und Wehe des Agenturbetriebs und die vom Handelsvertreter erzielbaren Absatzerfolge verantwortlich. Ist die Ertragslage des Agenturbetriebs folglich so schlecht, dass der Handelsvertreter die von Ihm verlangte Sicherheit nicht zu leisten imstande ist, kann ihm dies nicht vorgeworfen werden, handelt er also nicht schuldhaft.

Fazit:
Vertraglich geregelte „wichtige“ Gründe, die das Unternehmen zur fristlosen Kündigung von Vertriebsverträgen berechtigen, sind nicht notwendigerweise „wichtig“ im Sinne des Gesetzes. Auch bei Erfüllung eines solchen vertraglichen Kündigungstatbestandes kann der Handelsvertreter/Händler in vielen Fällen einen Ausgleich gemäß § 89b HGB verlangen.

Ansprechpartner:
Dr. Kay Wagner

Stand: April 2012