Bundesgerichtshof zum Screen Scraping: Auslesen von Datenbanken durch Bots

(BGH, Urteil vom 22.06.2011, Az. I ZR 159/10 – Automobil-Onlinebörse)

Der Bundesgerichtshof hatte sich kürzlich mit der interessanten Fragestellung zu befassen, ob es zivilrechtlich zulässig ist, fremde Datenbanken durch spezielle Software (Bots) automatisiert auslesen zu lassen, um damit Daten zu sammeln (auch Screen Scraping genannt). Konkret ging es um eine Software, mit der der Nutzer gezielt in den Datenbanken mehrerer der etablierten großen Automobil-Onlinebörsen gleichzeitig nach bestimmten Angeboten suchen kann, ohne die Webseiten der einzelnen Betreiber aufsuchen und dort einzelne Abfragen starten zu müssen.

 

Einer der Portalbetreiber sah sich hierdurch in seinen Rechten verletzt und verklagte den Anbieter der Software auf Unterlassung und Schadensersatz. Dabei stützte er sich auf Urheberrecht bzw. sein Recht als Datenbankhersteller, Wettbewerbsrecht und das allgemeine bürgerlich-rechtliche Recht auf Abwehr eines sogenannten Eingriffs in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

In der ersten Instanz (LG Hamburg, Urteil vom 09.04.2009, Az. 310 O 39/08, juris) bekam er Recht, in der Berufungsinstanz (OLG Hamburg, Urteil vom 16.04.2009; Az. 5 U 101/08 = GRUR-RR 2009, 293 = CR 2009, 526) wurde die Klage hingegen abgewiesen. Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Entscheidung und entschied, dass keine Ansprüche bestehen (BGH, Urteil vom 22.06.2011, Az. I ZR 159/10 – Automobil-Onlinebörse). Die Software und das, was sie macht, ist also nach geltendem Recht prinzipiell zulässig.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sind die gesammelten Angebote auf der Automobil-Onlinebörse zwar eine Datenbank im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG, und der Betreiber der Onlinebörse kann auch als alleiniger Hersteller im Sinne des § 87a Abs. 2 UrhG gelten (auch wenn die einzelnen Angebote dort von seinen Kunden, also den Händlern und sonstigen Anbietern eingestellt werden). Damit besteht im Prinzip der Schutz des Urhebergesetzes für Datenbanken (§§ 87a ff. UrhG).

Dennoch sind nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im konkreten Fall die im Prinzip exklusiven Datenbank-Rechte des Betreibers nicht verletzt. Denn indem immer nur einzelne Abfragen zu dem jeweils konkreten Suchauftrag gemacht werden, wird weder die gesamte Datenbank als ganze kopiert, noch werden „wesentliche Teile“ davon betroffen. Selbst in der Summe aller Suchaufträge über die Software, auch wenn man die aller Nutzer der streitgegenständlichen Software kumulativ betrachtet, wollte der BGH keine Vervielfältigung wesentlicher Teile der Datenbank erkennen, denn es wurden – jedenfalls im vorliegenden Fall – immer nur die einzelnen, natürlich immer stark eingegrenzten Suchanfragen gestartet, sortiert nach konkreten Modellen, Modelljahren, Preisspanne usw. Rein quantitativ betrachtet hielt der der BGH dies im vorliegenden Fall noch nicht für „wesentlich“. Das Recht des Datenbankherstellers auf Schutz vor Vervielfältigungen der Datenbank insgesamt oder wesentlicher Teile davon (§ 87b Abs. 1 UrhG) war dadurch hier nicht verletzt.

Eine Rolle spielte bei der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass der klagende Betreiber der Onlinebörse seine Datenbank im Prinzip ungeschützt frei zugänglich gemacht hatte. Er hatte zwar in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehen, dass eine Abfrage der Angebote aus der Datenbank nur auf dem eigentlich dafür vorgesehenen Wege, nämlich über das Portal und die Suchmaske dort und von Hand erfolgen dürfe, und Dritten ein automatisches Auslesen oder die Verwendung für eigenständige kommerzielle Angebote nicht erlaubt sei. Allerdings waren technisch keine besonderen Vorkehrungen dagegen getroffen, und insbesondere war es möglich, Datenbankabfragen zu machen, ohne die AGB ausdrücklich anzunehmen. Damit war die betreffende Klausel aus den AGB des Portalbetreibers hier ohne Wirkung.

Der BGH wollte hier auch kein wettbewerbswidriges Verhalten erkennen, namentlich keine unlautere Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG. Zwar sei es richtig, dass dem Portalbetreiber hier gegebenenfalls Werbeinnahmen entgingen, wenn die Angebote außerhalb seines Portals angezeigt wurden. Doch müsse er dies hinnehmen, weil er sein Angebot wie gesagt ohne technische Schutzmaßnahmen ungeschützt öffentlich zugänglich gemacht hatte und damit mit gegebenenfalls automatischen Aufrufen aller Art über das Internet rechnen musste. Der BGH bezog sich insoweit auf seine Präzedenzrechtsprechung zur Zulässigkeit von Suchmaschinen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 – I ZR 259/00, BGHZ 156, 1, 18 f. – Paperboy; vgl. auch Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 39/08, GRUR 2011, 56 Rn. 27 = WRP 2011, 88 – Session-ID).

Eine Behinderung durch übermäßige technische Belastungen oder durch die Software verursachte Störungen hielt der BGH zwar für rechtlich theoretisch denkbar, doch war nicht nachgewiesen, dass es tatsächlich zu so etwas gekommen war.

Den verbleibenden rechtlichen Aspekt, nämlich einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB verneinte der BGH schließlich mit der Begründung, dass, selbst wenn ein Eingriff angenommen werden kann, dieser sich nicht gegen das Unternehmen des Portalbetreibers als solchen richtete, sondern höchstens gegen die Datenbank als ein Asset desselben. Damit ging insoweit der spezielle urheberrechtliche Schutz der Datenbank vor, der aber, wie oben ausgeführt, hier nicht ausgelöst war.

Im Ergebnis wurde die Unterlassungsklage also abgewiesen; der Portalbetreiber konnte sich von Rechts wegen nicht gegen den Zugriff durch die Software auf seine Datenbank wehren und musste dies hinnehmen. Entscheidender Faktor war letztlich, dass die Datenbankabfrage ungesichert und öffentlich zugänglich war. So verlor der Portalbetreiber den Prozess in der letzten Instanz.

Übrigens betrug der Streitwert (der als Rechnungsgröße die Höhe der gesetzlichen Gerichts- und Anwaltsgebühren bestimmt) bemerkenswert hohe 150.000 EUR (siehe Landgericht Hamburg, Urteil vom 09.04.2009, Az. 310 O 39/08), wodurch sich bei diesem Verfahren Prozesskosten von gut 50.000 EUR ergeben haben, die der Unterlegene am Ende zu tragen hat.

Anmerkung: Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte 2009 bereits ähnlich entschieden in einem Fall, in dem es um das Auslesen von Flugverbindungen und Preisen von den Webseiten verschiedener Fluggesellschaften und Reiseanbieter ging. Auch dort war entschieden worden, dass die Datensätze einzelner Flugverbindungen, die vom Gegner ausgelesen wurden und auf der eigenen Internetseite wiedergegeben, nicht als „wesentliche Teile“ der Datenbank im Sinne des Gesetzes angesehen werden konnten. So wurde auch dort der Datenabruf letztlich als zulässig angesehen (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 05.03.2009, Az. 6 U 221/08 = MMR 2009, 400).

Beraterhinweis:

  • Wenn Datenbanken im Internet zugänglich gemacht werden und man nicht will, dass sie von dritter Seite automatisiert ausgelesen werden können, sollten organisatorische und technische Schutzmaßnahmen in Betracht gezogen werden, z. B. Registrierungspflicht und Login für Kunden, Captchas usw.
  • Rechtlich gesehen genügt es nicht, entsprechende Verbote in den Nutzungsbedingungen bzw. Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu formulieren, sondern es ist sicherzustellen, dass die AGB vom Nutzer ausdrücklich bestätigt werden (etwa durch ein Häkchen), um Bestandteil des Nutzungsvertrags zu werden.
  • Sofern das Auslesen von fremden Datenbanken nicht unter Umgehung von Schutzmechanismen erfolgt und kein Ausmaß annimmt, das zu einer Kopie der gesamten Datenbank oder wesentlicher Teile davon führt oder zu Überlastung oder technischen Störungen beim Ziel, ist dieses Vorgehen prinzipiell rechtlich nicht beanstanden. Natürlich entscheiden aber immer die Umstände des Einzelfalls.

Ansprechpartner:
Dr. Marcus Dittmann

Stand: September 2011