EuGH: Sind deutsche öffentlich – rechtliche Rundfunkanstalten öffentliche Auftraggeber?

Öffentlich – rechtliche Rundfunkanstalten sind öffentliche Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 92/50 EWG (nunmehr Richtlinie 2004/18) und des § 98 Nr. 2 GWB, das Merkmal der überwiegenden Finanzierung durch den Staat ist erfüllt, wenn die hierfür erhobene Gebühr gesetzlich vorgesehen und auferlegt ist, also nicht auf einem Rechtsgeschäft zwischen den Anstalten und dem Verbraucher beruht. (EuGH: 13.12.2007, C-337/06)

Sachverhalt:

Der EuGH urteilte am 13.12..2007 (C-337/06) über ein Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf vom 21.07.2006 nach Art. 234 EGV.

Die Gebühreneinzugszentrale der öffentlich – rechtlichen Rundfunkanstalten (GEZ), die weder eigene Rechtspersönlichkeit noch Parteifähigkeit besitzt, sondern im Namen und für Rechnung der jeweiligen Landesrundfunkanstalt handelt, forderte im August 2005 elf Reinigungsunternehmen schriftlich auf, verbindliche Angebote zur Durchführung von Reinigungsdienstleistungen in den Gebäuden der GEZ in Köln abzugeben. Ein förmliches Vergabeverfahren entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften wurde nicht durchgeführt. Die Gesamtaufwendungen wurden bei einer Vertragslaufzeit von knapp 3 Jahren auf mehr als 400.000 Euro jährlich geschätzt. Eines der angesprochenen Unternehmen stellte zunächst erfolgreich einen Nachprüfungsantrag bei der VK Köln. Das gegen diese Entscheidung angerufene OLG Düsseldorf führt in seinem Vorlagebeschluss vom 21.07.2006 (VIII – Verg 13/06) aus, für eine Qualifizierung der Rundfunkanstalten als öffentliche Auftraggeber und somit die Anwendbarkeit des Vergaberechts sei allein das Merkmal der „überwiegenden Finanzierung durch den Staat“ nach Art. 1 Abs. 9 Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 EWG (inhaltlich entspricht dieser Norm dem § 98 Nr. 2 GWB) fraglich, da die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Tätigkeiten überwiegend aus bei dem Bürger erhobenen Gebühren finanzieren. Das OLG Düsseldorf fragte daher, ob man das Vorliegen einer staatlichen Finanzierung bejahen könne, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht, die die Bürger zur Gebührenentrichtung verpflichtet, ob dieses Merkmal eine direkte Einflussmöglichkeit des Staates auf die Auftragsvergabe verlangt und ob Dienstleistungen, die nicht programmspezifischer Art sind, dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegen.

Gründe:

Der EuGH qualifiziert die Rundfunkgebühr im Ergebnis als staatliche Finanzierung. Sie hat ihren Ursprung im Rundfunkstaatsvertrag, ist also gesetzlich auferlegt. Sie muss unabhängig von einer Gegenleistung allein deswegen erbracht werden, weil ein Empfangsgerät bereitgehalten wird. Die Zahlungspflicht beruht nicht auf einem Vertrag zwischen Anstalt und Verbraucher, auch ihre Höhe wird nicht vertraglich, sondern durch förmliche gesetzgeberische Entscheidungen bestimmt. Zudem erfolgt die Erhebung durch Gebührenbescheid, der im Verwaltungszwangsverfahren vollstreckt wird. Dass die Rundfunkanstalten die Gebühren selbst einziehen, ist für das Vorliegen der staatlichen Finanzierung unschädlich.

Ein direkter Einfluss des Staates auf konkrete Vergabeverfahren ist nach Art. 1 Abs. 9 Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 EWG für die Bejahung der Auftraggebereigenschaft nicht von Bedeutung, sofern die Verbundenheit der Einrichtung mit dem Staat aus anderen Umständen abgeleitet werden kann. Die Verbundenheit der Rundfunkanstalten mit dem Staat ergibt sich daraus, dass ihre Existenz vom Staat abhängt.

Art. 1 Buchst. A Ziff. IVder Richtlinie 92/50 EWG, nach dem Kauf, Entwicklung,Produktion oder Koproduktion von Programmen durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten sowie die Ausstrahlung von Sendungen vom Vergaberecht ausgenommen sind, ist restriktiv auszulegen, um einen möglichst umfassenden Wettbewerb zu gewährleisten. Im Umkehrschluss aus dieser Norm kann gefolgert werden, dass öffentliche Aufträge, die in keinem Zusammenhang mit den dort genannten Tätigkeiten stehen, dem Vergaberecht unterliegen.

Praxistipp:

Aus der vorliegenden Entscheidung ist zu schlussfolgern, dass öffentlich – rechtliche Rundfunkanstalten grundsätzlich öffentliche Auftraggeber im Sinne des GWB sind. Die Frage, ob Vergaberecht anwendbar ist, lässt sich für Vergabestellen und Auftragnehmer nur in Betrachtung des einzelnen zu vergebenden Auftrags beantworten –geht es um Kauf, Entwicklung, Produktion oder Ausstrahlung von Sendungen, so ist der Auftrag vom Anwendungsbereich des GWB ausgenommen und nicht überprüfbar.

In engem Zusammenhang mit der hier entschiedenen Frage ist auch die Auftraggebereigenschaft von Krankenkassen zu sehen. Hierzu leitete das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 23.05.07 (VII – Verg 50 / 06) ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH ein.

Ansprechpartner:

Rainer Ihde

Stand: Juni 2008