Vertragsmanagement bei komplexen IT-Projekten

1. Ausgangslage

Ein wesentlicher Faktor für das Scheitern von IT – Projekten ist ungenügendes Vertragsmanagement auf beiden Seiten. Zu geringe Fachkenntnisse der einbezogenen Mitarbeiter, ungeeignete Vertragsmuster, die mangelhafte Beschreibung des Leistungsinhalts und der von den Beteiligten gewünschten Ziele, fehlende Abgrenzung von Planungs- und Erstellungsphase, unorganisierte Change – Request – Verfahren, die Liste der potentiellen Fehlerquellen ließe sich noch leicht verlängern. Hinzu kommt häufig eine unprofessionell gestaltete Rechtsfolgenseite: unbegrenzte oder rechtlich unzulässige Haftungsregelungen, Uneinigkeit über die Abrechnung von Mehrleistungen, fehlende Sanktionen für das Nichterreichen von Milestones, unklare Abnahmeregelungen, fehlerhafte Lizenzbedingungen und vieles mehr.

2. Grundlagen

Allen Problemen gemeinsam ist, daß Ihnen wirksam nur im Vorfeld begegnet werden kann. Eine spätere Durchsetzung von Rechtspositionen auf ungenügenden Grundlagen ist entweder überhaupt nicht, oder nur mit hohen finanziellen Risiken möglich. Grundlegende Maßnahmen sollten von jedem Unternehmen beachtet werden:
Schulung der bei den Vertragsverhandlungen und bei der Vertragsdurchführung eingesetzten Mitarbeiter über die rechtlichen Grundlagen und Etablierung einer Vertragsmanagementorganisation.Nutzung von professionellen Vertragswerken, die den eigenen Leistungen und den eigenen Organisationsabläufen entsprechenBegleitung von umfangreichen Vorhaben durch die Rechtsabteilung oder externe Berater ab frühen Verhandlungsphase

3. Vertragsvorbereitung

3.1 Rechtsnatur von Verträgen

Die rechtliche Einordnung eines Vertrages ist alles andere als eine akademische Frage. Durch die Weichenstellung Dienst- oder Werkvertrag wird beispielsweise zwingend darüber entschieden, ob der Softwareersteller für den (vom Auftraggeber erwarteten) Erfolg eines Vorhabens haftet, oder ob er „nur “ dafür einzustehen hat, daß seine Tätigkeit ordnungsgemäß und nach den anerkannten Regeln der Technik erbracht wird.

Rechtliche Grundlage jeder Überlassung von Software oder deren Erstellung für Dritte ist ein Vertrag, der regelmäßig unabhängig davon zustande, ob die Beteiligten ausdrückliche Vereinbarungen über bestimmte Punkte treffen oder nicht. Treffen die Parteien keine besonderen Vereinbarungen, greifen die dispositiven (abdingbaren) gesetzlichen Regelungen, die das Gesetz für bestimmte Vertragstypen wie etwa Kauf-, Miet-, Werk- und Dienstverträge bereithält.

Die Einordnung eines Softwareerstellungs- oder Softwareüberlassungsvertrages in einen der vorgenannten Vertragstypen hat für die Vertragspartner gravierende und oftmals ungewollte Konsequenzen. Die gesetzlichen Vorschriften über die Gewährleistungsrechte und -pflichten, die Vergütung, Kündigungs- und Rücktrittsmöglichkeiten sind für die einzelnen Vertragstypen jeweils sehr unterschiedlich und werden den tatsächlichen Besonderheiten der Integration oder Einführung von Informationssystemen nur selten gerecht.

3.2 Stufenkonzepte

Das Werkvertragsrecht des BGB davon aus, daß die Parteien sich schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses darüber einig sind, welche genaue Beschaffenheit das spätere Werk haben soll und welche Vergütung hierfür zu entrichten ist. Bei Verträgen über die Erstellung individueller und komplexer Softwarelösungen, bei denen häufig erst in der Planungsphase deutlich wird, was realisierbar ist und welche spezifischen Probleme bestehen, ist ein einheitlicher Werkvertrag ein immer noch verbreitetes, aber ungeeignetes Mittel. Die Projektnatur von IT – Vorhaben erfordert eine abgestufte Vorgehensweise, die mindestens die Planungsphase von der Erstellungsphase trennt. Erst wenn eine vollständige Beschreibung der benötigten Verfahren möglich ist, beispielsweise in einem Pflichtenheft, kann Vertragssicherheit erreicht und können unabsehbare Haftungsrisiken für den Auftragnehmer bzw. eine genügende Erfolgssicherheit für den Auftraggeber erreicht werden.

Empfehlenswert ist auch die Einigung auf bestimmte Verfahrensregeln, die eine geordnete Durchführung des Projektes ermöglichen. So sollten Stufenkonzepte über die Abnahme von Teilleistungen, eine genaue Projektdokumentation, Regelungen für ein Change-Management, ein genauer Zeitplan, regelmäßige Projektbesprechungen etc. vereinbart werden.

3.3 Rechte

Ebenso häufiger wie elementarer Verhandlungspunkt ist die Einräumung von Rechten. Neben der Frage wie die Lizenz des Auftraggebers beschaffen sein muß, exklusiv oder einfach, örtlich und zeitlich und in der Nutzungsart beschränkt, unterlizenzierbar oder nicht werden weitere notwendige Regelungen häufig vernachlässigt. Wann darf der Auftraggeber den Quellcode herausverlangen, wann sollte eine Escrow – Vereinbarung erfolgen, wie sind Drittlizenzen zu berücksichtigen, welche Updates und Upgrades dürfen, sollen oder müssen bezogen werden, Fragen die oft über die Werthaltigkeit der abgeschlossenen Verträge entscheiden.

4. Rechtsfolgenseite

Ferner sollten die Parteien sich über die Gewährleistungsrechte und -pflichten, Haftungsregelungen, Folgen von Urheberrechtsverletzungen und Vertragsstrafen einigen.

Die Erfahrung zeigt, daß etwa 70 % aller Gewährleistung- und Haftungsklauseln wegen Verstoß gegen das komplizierte Regelungsgeflecht des Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam sind. Die Folge ist unbegrenzte Haftung für den Auftragnehmer, der damit häufig die wirtschaftliche Existenz seines Unternehmens gefährdet.

Kaum ein komplexes IT – Projekt wird unter Einhaltung aller zeitlichen Vorgaben fertiggestellt. Dennoch verzichten die meisten Auftraggeber darauf, ihrem eigenen – betriebswirtschaftlich häufig dringenden – Interesse durch Vereinbarung von angemessenen Vertragsstrafen Rechnung zu tragen. Folge ist, daß der Auftraggeber häufig hilflos zusehen muß, wie sich das Projekt immer mehr verzögert, ohne daß er ein anderes Mittel als die häufig katastrophale Vertragskündigung hat.

5. Besondere Vertragstypen

Einige IT – Projekte stellen besondere Anforderungen an eine sichere und nachhaltige Abwicklung. So sind beispielsweise alle Outsourcing – Vorhaben besonders komplex und nicht ohne professionelles Management abzuwickeln. Sowohl der Übernahmevertrag, als auch der künftige Leistungsvertrag sind besonders kompliziert. Bei der Übernahme sind sowohl Fragen des Betriebsüberganges (insbes. § 613 a BGB), des Betriebsverfassungsrechts, der Übertragung von Standardsoftware Dritter oder der Übernahme von Betriebseinrichtungen zu klären, das sich anschließende Dauerschuldverhältnis muß datenschutzrechtliche Fragen, Service Level Requirements, ein Back up – Konzept und nicht zuletzt angemessene Laufzeit- und Kündigungsmöglichkeiten regeln.

Weitere Sonderverträge sind beispielsweise prototypische Entwicklungen, Application Service Providing, Content Management Verträge, Rechenzentrumsverträge, und viele mehr.

6. Zusammenfassung

Professionelles Vertragsmanagement ist ein Erfordernis für jeden Abnehmer und für jedes IT – Unternehmen. Ein sorgfältig erarbeitetes Vertragswerk ist zuallererst ein umfassender Interessenabgleich, der hilft, die meisten Abwicklunsprobleme zu vermeiden. Ein sorgfältiges Vertragsmanagement ist integraler Bestandteil eines ordnungsgemäßen Projektmanagements und hilft alle während der Abwicklung auftretenden Probleme zu bewältigen.

Ansprechpartner:
Rainer Ihde

Stand: Oktober 2001