Dimensionen der Panoramafreiheit – BGH: Keine Urheberrechtsverletzung an Mauerbild durch Abfotografieren und Aufkleben auf Architekturmodell

(BGH, Urteil vom 19.01.2017, Az. I ZR 242/15)

Der Bundesgerichtshof hat am 19. Januar 2017 ein Urteil zur Reichweite der Panoramafreiheit  gefällt. Inhaltlich geht es in diesem Fall um eine interessante und bislang in höchstrichterlicher Rechtsprechung und Fachliteratur ungeklärte Fallkonstellation aus dem Urheberrecht.

Streitgegenstand ist ein Foto, das eine Maklerfirma, die im Auftrag eines Immobilienentwicklers tätig ist, im Internet öffentlich zugänglich gemacht hat. Auf dem Foto ist ein Teil eines Architekturmodells zu sehen, das ein Wohngebäude darstellt, das in Berlin kürzlich auf dem Mauerstreifen am Ufer der Spree errichtet worden ist, hinter der sogenannten „East Side Gallery“ bei den Resten der Berliner Mauer. Im Bildausschnitt abgebildet ist die Ansicht des Mauerabschnitts, der sich auf dem Grundstück befindet und auch nach Fertigstellung des Baus stehen geblieben ist, Blickrichtung von der Straßenseite her. Auf diesem Mauerabschnitt sind in der Realität von einem Mauerkünstler als Mauerbild eine Reihe bunter Köpfe aufgemalt. Der Modellbauer hat eine Fotografie dieses Mauerbilds, so, wie es von der Straßenseite aus zu sehen ist, maßstabsgerecht verkleinert auf die Modellmauer aufgeklebt, um das Modell möglichst realitätsgetreu aussehen zu lassen, so, wie das Gebäude nach seiner Fertigstellung auf seinem Grundstück in seiner Lage in der Stadt aussehen würde (und es mittlerweile nach Fertigstellung auch tut). Das streitgegenständliche Lichtbild aus dem Internet zeigt also ein anderes Lichtbild, das auf einem dreidimensionalen Modell aufgebracht ist, welches als Architekturmodell für ein Bauprojekt dient und dessen zukünftige Ansicht visualisieren soll.

Die Beklagte war als Maklerin mit der Vermarktung der Wohnungen im Bauprojekt beauftragt. Sie hat das Lichtbild des Modells vom Grundstückseigentümer zu Verfügung gestellt bekommen, der auch das Modell hat anfertigen lassen, und es dann im Rahmen eines Immobilienangebots auf ihrer Homepage ins Internet gestellt.

Der Kläger machte eine Verletzung seiner Urheberrechte in Form des streitgegenständlichen Lichtbilds des Modells geltend. Die Beklagte berief sich dagegen auf die Panoramafreiheit. Die relevanten Normen sind die §§ 59, 62, 39 UrhG.

Das Landgericht Berlin hat in der ersten Instanz dem Kläger Recht gegeben (Landgericht Berlin, Urteil vom 18.11.2014, Az. 16 O 643/13), das Kammergericht diese Entscheidung aufgehoben und die Klage zurückgewiesen (Kammergericht, Urteil vom 09.11.2015, Az. 24 U 38/15).

Übrigens ist ein Verfügungsverfahren vorausgegangen, bei dem jeweils in gleicher Weise entschieden worden ist (Landgericht, Urteil vom 15.10.2013, Az. 16 O 262/13; Kammergericht, Urteil vom 04.06.2014, Az. 24 U 176/13).

Die Revision wurde im Hauptsacheverfahren ausdrücklich zugelassen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung das Urteil des Kammergerichts bestätigt und damit die Klage final abgewiesen. Eine Urheberrechtsverletzung liege unter den gegebenen Umständen nicht vor. Das Aufkleben eines Lichtbilds auf ein Architekturmodell der Berliner Mauer lasse keine unzulässige dreidimensionale Vervielfältigung der streitgegenständlichen Wandgemäldes entstehen. Die gesetzliche Einschränkung, dass Vervielfältigungen jedenfalls nicht an Bauwerken angebracht werden dürfen (§ 59 Abs. 2 UrhG), greife hier bei dem bloßen Modell des Bauwerks nicht. Eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit des Mauerkünstlers führe ebenfalls nicht zu dem Ergebnis, dass die Vervielfältigung rechtswidrig gewesen sei. Die in das Architekturmodell eingeklebte Vervielfältigung begründe einen merklich geringeren Grundrechtseingriff, als er zum Beispiel bei sonstigen gewerblichen Nutzungen von Vervielfältigungen bleibend im öffentlichem Raum ausgestellter Kunstwerke (gewerbliche Vermarktung von Postkarten und Bildern etc.) entstehen würde. Der mögliche politische Kontext der Berliner Mauer falle hier nicht ins Gewicht.

Im Ergebnis bedeutet dies: Der Modellbauer, der ein zulässigerweise zustande gekommenes Lichtbild der Straßenansichten des Mauerbilds auf sein Architekturmodell aufgebracht hat, bzw. nach ihm derjenige, der wiederum Lichtbilder des Architekturmodells mit diesem so erkennbaren Mauerbild vervielfältigt bzw. im Internet öffentlich zugänglich macht, handelt nicht rechtswidrig und begeht damit keine Urheberrechtsverletzung. Eine Zustimmung bzw. Lizenz des Künstlers ist nicht erforderlich. Eine solche Nutzung von Kunst am Bau ist also grundsätzlich frei möglich.

Ansprechpartner:

Dr. Marcus Dittmann