Hinweis: Dies ist eine Aktualisierung der früheren Artikel aus den Jahren 2016, 2017 und 2018, siehe:

Berlin District Court: Facebook must grant heirs access to a deceased person’s account (2016).

Berlin Court of Appeals: Facebook is not obliged to grant heirs access to a deceased person’s account (2017)

German Federal Court of Justice: Facebook must grant heirs full access to a deceased person’s account (2018)

Die Kette der Entscheidungen

Das Landgericht Berlin hatte im Dezember 2015 entschieden, dass Facebook den Erben eines verstorbenen Nutzers Zugang zum Facebook-Konto des Erblassers gewähren muss (Landgericht Berlin, Urteil vom 17.12.2015, Az. 20 O 172/15). Dieses Urteil wurde Ende Mai 2017 durch das Kammergericht Berlin aufgehoben (Kammergericht, Urteil vom 31.05.2017, Az. 21 U 9/16). Dieses Urteil wurde wiederum vom Bundesgerichtshof aufgehoben (Bundesgerichtshof, BGH, Urteil vom 12. Juli 2018, Az. III ZR 183/17), der entschied, dass Facebook den Erben eines verstorbenen Nutzers tatsächlich vollen Zugriff auf das Facebook-Konto des Verstorbenen gewähren muss. Bestätigt wurde dies durch eine abschließende Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2020 (BGH, Beschluss vom 27.08.2020 – III ZB 30/20), in dem das Gericht präzisierte, dass Vollzugriff mehr bedeutet als die bloße Übergabe eines USB-Sticks mit PDF-Dateien, sondern dass Vollzugriff den direkten Zugriff (mit Ausnahme der aktiven Nutzung) bedeutet.

Der Sachverhalt im Ausgangspunkt

Im vorliegenden Fall ging es um den Facebook-Account eines 15-jährigen Mädchens, das bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war. Die genauen Umstände ihres Todes und ob es sich möglicherweise um Selbstmord gehandelt hatte, blieben unklar. Die Eltern des Mädchens (die zivilrechtlich ihre Erben sind) hatten daraufhin versucht, auf das Facebook-Profil des Mädchens zuzugreifen, um nach Hinweisen zu suchen. Facebook weigerte sich unter Berufung auf seine Datenschutzbestimmungen und das Datenschutzrecht, die Identität der Person preiszugeben, die die Sperrung und Umstellung der Facebook-Seite des Mädchens in den „Memorial“-Modus initiiert hatte, und verweigerte auch die Wiedereröffnung des Kontos, um den Eltern Zugang zu gewähren. In der ersten Instanz hatte das Landgericht entschieden, dass das Facebook-Konto und sein Inhalt keinen besonderen Vertraulichkeitsregeln und -einschränkungen oder übergeordneten Erwägungen der Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte oder moralischen Rechte der Verstorbenen im Verhältnis zu den Erben unterliegen würde und daher offengelegt werden müsse.

Facebook legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.

Das Berufungsgericht hob das ursprüngliche Urteil auf. Die Richter entschieden, dass Facebook nicht gezwungen werden könne, das Benutzerkonto des Verstorbenen gegenüber den Erben offenzulegen. Die Hauptargumentation lautete, dass eine solche Offenlegung die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre bzw. das Telekommunikationsgeheimnis verletzen würde, insbesondere auch die Privatsphäre der Dritten, mit denen die verstorbene Tochter möglicherweise kommuniziert hatte.

Die Berufungsrichter räumten jedoch ein, dass die Entscheidung problematisch sei, und ließen eine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zu.

Die Entscheidng des BGH

Am 12. Juli 2017 entschied der BGH, dass die ursprüngliche Gerichtsentscheidung richtig war: Facebook muss den Erben eines verstorbenen Nutzers Zugriff auf das Facebook-Konto des Verstorbenen gewähren. Die Erben erben automatisch die Position der verstorbenen Person in allen Aspekten, einschließlich der Nutzungsvereinbarung mit Facebook. Nach Ansicht des BGH kann diese Vereinbarung als solche nicht als „höchstpersönlich“ angesehen werden. Gegenstand der Facebook-Nutzungsbedingungen, so der BGH, ist nicht die – möglicherweise vertrauliche – Kommunikation mit einem bestimmten Nutzer persönlich, sondern mit dessen Konto. Die anderen Kommunikationspartner können kein schutzwürdiges Vertrauen darin haben, dass der Inhalt ihrer Kommunikation mit dem Konto eines anderen Nutzers niemals von einem Dritten eingesehen werden kann. Solange der Benutzer noch am Leben ist, muss man das Risiko in Betracht ziehen, dass die Privatsphäre verletzt wird oder dass der Benutzer einfach anderen erlaubt, die Nachrichten zu sehen. Und für den Fall, dass der Benutzer stirbt, muss der andere Benutzer in Betracht ziehen, dass die Erben die Nachrichten der Vergangenheit zu Gesicht bekommt. Dasselbe wäre (wie auch sonst im deutschen Zivilr- und Erbrecht) beispielsweise bei traditionellen Papierdokumenten wie persönlichen Tagebüchern und Briefen der Fall.

Der BGH sieht auch keinen Konflikt mit dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des verstorbenen Nutzers.

Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften über das Fernmeldegeheimnis liege nicht vor, da der Erbe nicht als „eine andere“ Person im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Regelung anzusehen sei (§ 88 Abs. 3 TKG).

Obiter dictum entschied das Gericht auch, dass die Gerichtsstandsklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook (zumindest in der dem Fall zugrunde liegenden Fassung) nach deutschem Recht null und nichtig seien.

Schließlich besteht kein Konflikt mit den geltenden Datenschutzgesetzen, insbesondere der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die im Mai 2018 in Kraft getreten ist. Diese schützt nach Ansicht des BGH ohnehin nur die Lebenden, und eine Gesamtabwägung der Interessen führt dazu, dass die berechtigten Interessen der Erben überwiegen.

Die Bedeutung des Urteils

Der Fall berührte mehrere interessante Aspekte des internationalen Privatrechts und des Datenschutzrechts, da sich die Klage gegen Facebook Irland als Beklagte richtete, da Facebook Irland die juristische Person ist, die rechtlich als vertragliches Pendant für alle Facebook-Nutzer aus Europa auftritt. Diese Aspekte werden in den früheren Artikeln dieses Autors zu diesem Thema ausführlicher behandelt (siehe oben).

Obwohl dies zum damaligen Zeitpunkt erwogen wurde, hat Facebook schließlich keine Verfassungsbeschwerde beim deutschen Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Das Urteil als solches war damit endgültig und beendete die Zivilklage auf materiell-rechtlicher Ebene.

Voller Zugriff heißt: Zugriff auf den Account

Das Verfahren wurde jedoch im Hinblick auf die Vollstreckung des Urteils fortgesetzt. Hier versuchte Facebook, das Urteil zu umgehen. Anstatt den Erben vollen Zugriff auf das geschlossene Konto zu gewähren, übergab man ihnen lediglich einen USB-Stick mit PDF-Dateien der Kontoinhalte. Die Erben gingen deswegen erneut vor Gericht.

Das erstinstanzliche Gericht (das ursprüngliche Landgericht Berlin als Vollstreckungsgericht) befand dies für unzureichend und verhängte ein Zwangsgeld gegen Facebook, das Berufungsgericht (Kammergericht) hob dies zugunsten von Facebook auf, und schließlich landete der Fall erneut beim BGH. Der BGH stellte sich erneut auf die Seite der Erben und entschied, dass Vollzugriff mehr bedeutet als die bloße Übergabe eines USB-Sticks, und dass Facebook den Erben vollen Zugriff auf das Konto eines verstorbenen Benutzers gewähren muss, und dass dies einen normalen Zugriff bedeutet, mit der einzigen Einschränkung, dass es keine aktive Nutzung mehr geben darf.

Folglich bleibt die Entscheidung bestehen: Das Gesetz in Deutschland verlangt: Facebook muss den Erben vollen Zugriff auf das Konto eines verstorbenen Nutzers gewähren (mit Ausnahme der aktiven Nutzung).